Mentoring im Kajaksport
Interview & Talk mit Thomas Waldner

Thomas Waldner beim King of the Alps, Foto: Damiano Benedetto

Thomas Waldner beim King of the Alps, Foto: Damiano Benedetto

Thomas Waldner begann mit neun Jahren, Kajak zu fahren – oder wie er selbst sagt: „Paddelt seit Verlassen der Fruchtblase“ (siehe https://drd4-rider.com). Wenn er sagt „ich habe mit 16 Jahren angefangen, Paddelkurse zu machen“ meint er eigentlich Paddelkurse zu ‚geben‘.

Er blickt auf eine Erfahrung von über 25 Jahren zurück, seine Laufbahn führte ihn durch Kanu-Slalom, Regatten, Wildwasser und extreme Kajak-Weltmeisterschaften. Nach Reisen rund um den Globus wurde er 2011 zum Initiator des legendären „King of the Alps“-Rennens.

Trotz seiner Erfolge im Rennsport hat Thomas nie aufgehört, Anfänger für den Kajaksport zu begeistern oder erfahrene Fahrer an die Grenzen des Wildwassers heranzuführen. Mit seiner bescheidenen, mitreißenden Art hat er 50 bis 60 Wildwasser-Athleten aufgebaut, trainiert und gecoacht.

Das Interview führte Martin Frick.

Die Themen des Talks

 

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Mindset

Welche Fähigkeiten und welche Haltung braucht ein Mentor, um das Beste aus seinen Schützlingen herauszuholen?

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Verantwortung

Was darf man von anderen verlangen, und wer trägt welche Verantwortung?

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Fahrtechnik

Wie erklärt man eine Bewegung, die nur durch Erfahrung erlernbar ist?

Thomas Waldner beim King of the Alps, Foto: Damiano Benedetto

Die Rolle des Mentors

Martin Frick:
Für das Heranführen und Vermitteln von Wildwasser-Kajakfahren lassen sich viele Begriffe finden, die irgendwie zutreffend sind und das beschreiben, worüber wir uns unterhalten wollen: Trainer, Mentor, Coach, Lehrer, Guide, Vorbild, Sparring Partner… wie würdest du deine Rolle beschreiben, wo siehst du dich selbst?

Thomas Waldner:
Ich denke, nennen kann man es wie man es will, es kommt natürlich auf die Bedeutung an. Am Ende ist es immer eine Art von Motivation, die ich vermitteln möchte. Ich versuche immer, Leute vorsichtig an ihr Limit heran zu führen, damit sie weiterkommen.

Ziel ist es, dass sie von sich aus Lust bekommen, etwas zu probieren, was sie ohne dich nicht ausprobiert hätten.

Du sagst, es geht dir darum, Leute zu motivieren, vielleicht auch zu ermutigen…

ja, sie ermutigen, und ihnen das Selbstvertrauen geben, damit sie sich trauen, etwas zu paddeln, was sie ohne deine Unterstützung nicht gemacht hätten.

Es geht darum, zu sagen „ich glaube, das schaffst du“, wir sichern die Stelle ab und sind für dich da.

Natürlich ist es eine Frage, wie weit du jemanden ermutigen kannst, denn du hast ja eine große Verantwortung. Auf keinen Fall darfst du jemanden überreden, am Ende muss er sich selbst entscheiden, ob er sich gut dabei fühlt und sich die Linie zutraut.

Jemand, der zum ersten Mal einen Vierer oder Fünfer fährt, weiß von sich aus nicht, wie weit er gehen kann oder soll.

Das klingt für mich, als wärst du dann der Sparring-Partner, bist auf Augenhöhe mit deinem Gegenüber und gibst Impulse, wie der sich selber reflektieren könnte.

Hattest du selbst in deiner Laufbahn so etwas wie einen Mentor, ein Vorbild, einen Coach?

Ja, der erste war mein Vater, mit ihm habe ich angefangen zu paddeln. Dann war da der Manfred, als Trainer im Sportclub Meran, der viel mit uns Jungen unterwegs war. Und da ich im Wettkampfsport aufgewachsen bin, hatte ich immer Trainer.

Ich habe aber immer ganz viel alleine trainiert. Oft habe ich Trainingspläne bekommen und habe diese dann allein abgearbeitet. Mit anderen zusammen paddeln zu gehen, kam für mich erst mit dem Wildwasser-Paddeln auf. Im Wettkampfsport bist du als Athlet eher auf dich alleine gestellt.

Als ich angefangen habe, Daniel (Klotzner), Luca (Dapra) und Matthias (Deutsch) zu trainieren, da haben wir am Anfang mit Slalom angefangen, wir sind aber auch immer Wildwasser gefahren. Den Daniel habe ich mit 16 Jahren zum ersten Rennen mitgenommen.

Mir war das immer wichtig, es nicht so zu machen, wie ich es erlebt habe, auf mich allein gestellt zu sein. Ich bin immer gerne mit Leuten zusammen paddeln gegangen, und da habe ich es mit den Jungen von Anfang an so gemacht.

Was sind die drei wichtigsten Eigenschaften eines Mentors – bezogen auf den Charakter – und was soll ein Mentor können, also über welche Skills sollte er verfügen?

Beim Kajakfahren ist es so, auch wenn du auf dem gleichen Niveau bist, kannst du dich gegenseitig weiterbringen. Aber wenn es um die Technik geht, solltest du 1-2 Stufen besser paddeln als der andere.

Essenziell finde ich persönlich, dass du einen motivierenden Charakter hast, also auf positive Weise jemanden anleitest.

Ja, das weiß man auch aus der Lernpsychologie, dass es kontraproduktiv ist, seinen Schüler auf Fehler und Engpässe hinzuweisen. Den Fokus auf Ressourcen und Potentiale zu richten, bringt viel mehr, wie Daniel Kahnemann nachgewiesen hat (Schnelles Denken, langsames Denken, 2012, ISBN 9783886808861).

Es ist ja zunächst egal, ob ich das bei meinem inneren Dialog mache, oder in Interaktion mit dem Trainer. Aber wenn ich mich selbst kritisch hinterfrage, ich bin selber so nicht aufgewachsen, während meiner Sozialisation war es üblich, das zu benennen, was besser laufen soll.

War das bei dir anders, wurde es dir damals so vermittelt, oder hast du dir das selbst erarbeitet?

Gute Frage. Ich glaube schon, dass meine Trainer im Paddelsport schon eher immer positiv waren. Da kam selten ein „das hast du jetzt falsch gemacht…“ die haben mich schon eher mit positivem Feedback motiviert. Und wenn du im Wettkampfsport bestimmte Ergebnisse erzielst, hast du schon allein dadurch positive Bestätigung. Wenn ich einen Wettkampf gewonnen habe, bin ich sicherlich nicht schlecht gefahren … 🙂 ich bin ja schon als Kind viele Wettkämpfe gefahren.

Und wenn du in deinem Sport gut bist, ist das eine starke Motivation, oder sagen wir Selbstmotivation. Im Training ist das natürlich etwas anders, aber da kommt es auch ein wenig auf dich selbst an.

Was den Sport anbelangt, bin ich immer ein Perfektionist gewesen. Ich habe mir immer andere, gute Paddler, als Vorbild genommen, und mir abzuschauen, was die besser machen als ich selbst. Das habe ich dann versucht, selber umzusetzen.

Da ging meine Motivation nicht immer nur über den Trainer. Wenn du für dich selbst trainierst, musst du auch versuchen, dich selbst weiter zu entwickeln, auch ohne das Feedback von jemand anderen.

Das mache ich mit Leuten, mit denen ich paddeln gehe, auch oft. Aktuell sind wir eine kleine Gruppe aus Vätern und Söhnen, die einmal in der Woche zusammen trainieren. Da sage ich oft gar nicht viel. Es ist eher so, dass ich mit ihnen fahre, und ihnen zeige, was möglich ist. Zum Beispiel wenn ein Kehrwasser kommt, was kann man damit machen… dann unterschneide ich dort, surfe mit der Welle raus.

Die müssen dann selber sehen „aha, da ist eine Surfwelle, das probiere ich auch…“ und wir paddeln dann einfach, ohne groß zu erklären oder zu interagieren, es geht mehr darum, so viele Features wie möglich auszunutzen und zu zeigen, was man alles machen kann. Und sie so weiter zu bringen, dass sie selbst lernen zu verstehen und zu sehen, was da geht.

Es ist etwas anderes, wenn ich mit jemandem fahre, um etwas spezifisches zu vermitteln, zum Beispiel das Boofen. Da gibt es nicht so viele Möglichkeiten, das zu wiederholen, ohne hundert Mal wieder hoch zu laufen, also muss ich was dazu erklären.

Es gibt ja verschiedene Ansätze, jemanden weiter zu bringen, das muss nicht immer mit Erklären oder Hinweisen auf Fehler sein. Wenn du beim Kajakfahren einen Fehler machst, merkst du das ja selber …(lacht) dann wird’s nass. Also wenn einer Schwimmen geht, hat er sicher was falsch gemacht.

Thomas Waldner beim King of the Alps, Foto: Damiano Benedetto

Die Psychologie des Lernens, Sicherheit ausstrahlen und die Methodik beim Guiden

Martin Frick:
Wenn du jemandem Paddeln vermitteln möchtest, hast du eine Art Methodik, einen Prozess, dein eigenes Credo, oder ein Fokus, auf den du achtest, nach dem du vorgehst?

Thomas Waldner:
Nein, nicht wirklich. Bei mir kommt das sehr auf die Person an. Ich habe kein System in dem Sinn. Das kommt bei mir mehr aus dem Bauchgefühl heraus.

Wenn ich weiß, der ist jetzt ein halbes Jahr auf Wildwasser II gepaddelt und möchte III paddeln, dann paddle ich als erstes mal auf WW II mit ihm/ihr. So finde ich heraus, was der überhaupt schon kann. Und dann kann ich abschätzen, wie das auf WW III funktionieren würde.

Sollte mir da zu viel fehlen, dann befasse ich mich noch ein paar mal mit WW II. Und wenn es für mich dann passt, kann man den nächsten Schritt wagen. Für mich persönlich ist das mehr so eine Gefühlssache.

Wichtig finde ich auch, dass man weiß wo man hin will. Dafür muss man einen Flussabschnitt selber wirklich gut kennen. Die Katastrophe wäre, einen Flussabschnitt zu paddeln den man selber nicht gut kennt, denn dann ist man selber unsicher und das überträgt sich auf den anderen.

Ab wie vielen Befahrungen würdest du sagen, ist man als Guide sicher?

Um alle Eventualitäten und verschiedene Wasserstände abschätzen zu können, solltest du schon 10mal gefahren sein… du musst ja weiter denken können als bis zur nächsten Stufe und wissen, wo du eventuell raus kommst oder wo gibt es die Möglichkeit, auf die Straße zu kommen.

Und wenn ich jemanden vom Übungskanal auf die Passer-Stadt-Strecke nehme, dann lasse ich auch erst einmal die Rolle machen, so wacht man erst mal auf… und dann kommt es in erster Linie darauf an, Sicherheit zu vermitteln.

Am wichtigsten ist es, dass alle wissen „jetzt fahren wir in dieses Kehrwasser, danach in das…“ da musst du ganz klare Anweisungen geben, die jeder versteht. So hat sich der Paddler nur auf eine Sache zu konzentrieren und dann passt das. Und wenn das stressfrei abläuft, ist er schon fürs nächste Mal motiviert.

Auch falls es zum Schwimmer kommt, auch dann die Ruhe bewahren. Keine Hektik, sondern klare Direktiven, wohin er schwimmen soll. Manchmal sage ich das auch vorher, wenn ich denke es könnte dazu kommen, sage ich „wenn du reinfällst, schwimm nach links, da kommt ein Kehrwasser“.

Das wichtigste im Kanusport ist es, einen Plan zu haben, sonst hast am Ende du den Stress, wenn der in die falsche Richtung schwimmt. Je ruhiger du selbst in einer Stress-Situation bist, umso ruhiger ist dein Kollege. Der sieht dann auch, da ist gar nicht die grosse Aufregung… dann beruhigst du die ganze Situation.

Für mich persönlich ist die Vorbereitung der Leute auf das was sie erwartet essentiell. Die sollen auch vom Kopf her vorbereitet sein auf das was als nächstes kommt.

Diese Frage habe ich mir auch schon gestellt, was ist da psychologisch gesehen schlauer, soll man denen vorher sagen, dass es da jetzt anspruchsvoll wird, und riskiert, dass sie das belastet?

Ich bin einmal in einer Gruppe als Co-Trainer in einem Ferienlager mitgefahren, als wir an eine Stelle kamen mit einem Strömungs-S zwischen Steinen hindurch. Die anderen Trainer kannten die Stelle, und ihre Strategie war, dass man nicht anhält und der Gruppe nichts davon sagt, außer „haltet euch nachher links“, um sie nicht zu beunruhigen, sozusagen.
Ich fand das nicht richtig, sehe aber ein, dass es nicht hilft etwas zu problematisieren, was gar nicht so tragisch ist.

Wie siehst du das?

Wenn du Leuten was beibringen möchtest, würde ich eher aussteigen und die Stelle anschauen. Wenn du weißt, da kommt eine IIIer Stelle, und die paddeln vielleicht das erste Mal so etwas, würde ich sie das anschauen lassen. So kann man mögliche Linien besprechen und sie selber entscheiden lassen, ob sie sich das zumuten wollen oder nicht.

So kann man immer noch intervenieren und sagen „dir würde ich eher abraten“, das sollte man als Trainer schon sagen können. Ich denke, der Lernfaktor ist größer, wenn man des den Leuten selber überlässt und sie mit Unterstützung zu einer Entscheidung führt. So bekommst du auch mit, wie weit jemand vom Kopf her ist.

Wenn du jeden runter schickst, hatte er gar keine Wahl, aber wenn die Hälfte sagt „das ist mir zu viel“, ist es besser, mit denen noch länger leichter zu paddeln. Und mit den anderen könnte man schauen, ob die vom Kopf her schon etwas schwerer fahren könnten. Sonst weißt du danach gar nichts. Zu wissen, wer runtergekommen ist und wer nicht, hilft nicht viel.

Was machst du mit Leuten, die Angst haben?

Es gibt unterwegs ja genügend Gelegenheiten, um kleine Herausforderungen und Aufgaben zu geben. Vielleicht kannst du sie motivieren, doch mal in die Walze rein zu fahren, oder wie heute mit Flo, der 5er fährt, aber die Rolle ist noch zu langsam. Heute in der Rienz Schlucht haben wir dann probiert, die Backdeck-Rolle zu üben. Das musst du als Kollege sehen, wo einer die Schwierigkeit hat, wo eine Technik fehlt, die gefährlich werden könnte, dann kannst du daran arbeiten und sagen, „komm, mach jetzt halt mal 5-6mal die Rolle…“ oder wir spielen auf leichten Bächen etwas herum, so dass der dann rein fällt und dann geht es dort besser und sie kommen wieder weiter.

In diesem Fall sehe ich mich selbst nicht als Trainer, vielmehr sind das meine Kollegen und ich versuche sie zu motivieren, dass sie weiterkommen und mehr Freude haben, auch am schweren Wildwasser.

Thomas Waldner beim King of the Alps, Foto: Martin Frick

Welche Rolle spielt eine gute Technik?

Martin Frick:
Das alles setzt ja auch voraus, dass du die Beobachtung gemacht hast, ob dein Mitpaddler das Potential hat. Verstehe ich es richtig, du legst an diesen Punkt nicht den Schwerpunkt darauf, ob jemand die nötige Technik hat, sondern nimmst den Streckenabschnitt als Anlass, etwas neues auszuprobieren, d.h. du vermittelst nicht zuerst die Technik, sondern führst dein Gegenüber an eine Stelle heran, die Lernpotential hat?

Thomas Waldner:
Ja, das ist für mich nicht immer von der Technik abhängig. Es gibt viele Paddler, die paddeln einen Fünfer, ohne eigentlich „paddeln zu können“ wenn wir das mal so ausdrücken wollen 😉 aber natürlich hilft es, eine gute Technik zu haben, und mir persönlich ist eine saubere Technik und ein guter Stil extrem wichtig.

Wenn du längere Strecken fährst, ist es wichtig, effizient zu paddeln. Aber bezogen auf die eine Stelle, ist es nicht so wichtig, den perfekten Schlag zu machen. Wichtig ist, dass du die perfekte Linie fährst.

Für mich steht im Vordergrund, die Leute zu motivieren und sie dabei zu unterstützen, sich selber gut einzuschätzen. Wenn du am Anfang viel paddelst, gibt es Leute, die ängstlich sind und solche, die sich überschätzen. Die muss man dann eher bremsen, das geht so weit, dass wir Abschnitte fahren, von denen ich genau weiß, dass der jetzt baden gehen wird.

Also nehme ich den mit und lass ihn schwimmen, damit er wieder weiß, wo er hin gehört. Das muss natürlich ungefährlich sein, aber das habe ich schon öfter gemacht.

Leute, die so motiviert sind, dass sie kein Limit haben, sind oft viel gefährlicher als die, die Angst haben.

Wie wichtig ist eine gute Technik für dich persönlich? Ich beobachte es bei uns im Verein, dass viele Leute kaum aktiv kanten, alles aus den Armen machen und trotzdem überall hinkommen wo sie wollen – innerhalb einer gewissen Schwierigkeit.

Mir persönlich ist Technik enorm wichtig, weil ich über Jahrzehnte daran arbeite, meinen Stil zu perfektionieren. Natürlich ist im Wettkampfsport die Technik eine andere als im Wildwassersport. Aber für mich ist es die eigentliche Herausforderung, etwas auch schön zu paddeln, und es ist ja auch effizient. Wenn du eine gute Technik hast, kannst du länger paddeln und wirst später müde usw. Eine gute Technik ist auch aus diesem Grund wichtig.

Aber es ist nicht unbedingt notwendig, um auch schweres Wildwasser zu paddeln, es ist halt langfristig effizienter. Und wenn du es gleich richtig lernst, wirst du dich später einfacher tun, bestimmte Sachen zu lernen.

Mit einer guten Technik geht alles viel schneller. Deswegen wäre es ganz wichtig, von Anfang an richtig zu paddeln. Ich denke, dass die Leute am Anfang viel zu große Boote verwenden.

Ich beobachte auch, dass manche Leute über die Zeit das Gefühl fürs Boot entwickeln, aber die hängen dann nach hinten oder zur Seite, aber ihre Bewegung kommt nicht aus der Körperspannung. Der Impuls aufs Boot kommt nicht aus der Körperachse, sondern weil man da hin hängt. Was läuft da falsch?

Ja, das ist auch den großen Booten geschuldet. Auf dem Internet findest du Videos, wo sie die Rolle üben und in so großen Booten sitzen, dass sie kaum im Stande sind umzufallen. Der Trainer muss fast mithelfen, dass die kentern, und da wirst du das Kanten auch nicht lernen.

Ich finde, am Anfang solltest du eher kleine Boote nehmen. Dann fährst du einen I-IIer, fällst öfters rein, aber zumindest bekommst du ein Gefühl dafür, wie weit du kanten kannst und dann musst du die Hüfte stärker einsetzen, das ist schon sehr wichtig.

Das bringt mich zur nächsten Frage: gibt es aus deiner Sicht so eine Art Kernkompetenz beim Paddeln, sagen wir Kanten, mit der Hüfte arbeiten, oder den Oberkörper rotieren? Was betrachtest du als eine Schlüsselkompetenz, aus der man ganz viel anderes ableiten kann, oder wenn man die verinnerlicht hat, kommt man weiter als ohne diese?

Ich denke, es ist die Kombination aus Gleichgewicht und Körperspannung. Also ‚wie halte ich meinen Körper im Mittelpunkt und überm Boot?‘ und dafür musst du viel mit dem Becken arbeiten, mit dem Kanten, damit der Schwerpunkt überm Boot bleibt. Also Körperspannung und Gleichgewicht gehören zu den essentiellen Sachen.

Die Paddeltechnik an sich kommt dann etwas später. Es dauert etwas, das Verständnis zu entwickeln und bis du das automatisierst, was kann das Boot machen, und wie weit kannst du aufkanten, bevor du überhaupt einen Stützschlag brauchst…

Wenn jemand das verstanden hat und aus dem Kehrwasser heraus fährt und die Kante aktiv hoch nimmt und sich nicht einfach runter fallen lässt, dann ist schon viel gewonnen und man hat danach viel weniger Probleme.

Es ist interessant, wie viel leichter sich Frauen dabei tun. Dadurch, dass sie oft weniger mit Kraft arbeiten und eher mit Gefühl, das ist so eine Kernkompetenz, also Kraft ist es sicher nicht. In dieser Hinsicht sind sportliche Männer am schlimmsten, z.B. Kletterer. Die sind dann oft steif wie ein Brett und reißen rein, dass es nur so scheppert… 🙂 Wenn wir im Winter Rollentraining im Hallenbad anbieten, sind da manchmal Leute dabei, da würde ich am liebsten Helm mit Gesichtsschutz anziehen, da kriegst du das Paddel zigmal in die Fresse… Dann kommt so ein Mädchen, noch nie im Boot gesessen, nach einer halben Stunde macht die die Rolle. Der andere hat es den ganzen Winter nicht geschafft.

Daran siehst du, dass die Körperwahrnehmung, die Kinästhetik, also seinen Körper zu spüren, ohne darüber nachzudenken, so wichtig ist. Die einen verlieren über Kopf und unter Wasser jede Orientierung, die anderen wissen sofort, ich muss das Paddel dorthin halten, damit es nach oben geht.

Aber ich habe den Verdacht, dass man das nicht wirklich lernen kann, entweder du hast es oder nicht. Wenn du das nicht hast, musst du es dir hart erarbeiten.

Ich denke auch, dass das Körperbewusstsein, das sich damit beschäftigt, wie tariere ich das dynamische Gleichgewicht mit der Körperachse und -spannung über dem Boot aus, vielleicht sogar, dass du ein wenig Gewicht strömungsabwärts bringst, für die Stabilität, für mich ist das zentral. Aber ich wundere mich, wie wenig das in Kursen und in Vereinen vermittelt wird.

Um das zu unterstützen machen wir das beim Rollentraining oft: wir lassen die Anfänger ohne Paddel üben. Die sollen dann erstmal mit den Händen stützen, nur eine Hand ins Wasser und aufkanten zum Beispiel. Du hast nur wenig Auftrieb mit der Hand, und musst alles mit dem Kanten und der Körperspannung machen.

Mit dem Paddel können die am Anfang ja sowieso nicht viel anfangen. Aber die lernen dann viel über die Gewichtsverlagerung, das aktive Kanten usw. die Einschränkung ist nur, dass man sich im Fluss damit schwer tut, dafür brauchst du einen See, ein Hallenbad oder das Meer.

Meine Erfahrung zeigt: wenn du das am Anfang machst, tust du dich danach viel leichter.

Was war für dich das wertvollste, das du in deiner Kajakbiografie lernen durftest?

Ich glaube für mich war es das wertvollste, beim Kajakfahren zu erleben, welche Rolle soziale Kompetenz spielt und diese lernen zu können. Für mich ist Kanufahren ein sozialer Sport.

Du sitzt zwar allein im Boot, auf dem Bach bist du zwar in deiner eigenen Welt, aber für mich ist es – vor allem Wildwassersport – ein sozialer Sport. Du musst auf dich selber schauen, aber gleichzeitig musst du auch auf die anderen schauen und die anderen schauen auf dich. Und nach dem Bach gehst du eine Pizza essen, das gehört für mich alles dazu.

Man lernt sehr viel über soziale Kompetenz, denn wenn du der Einzelgänger bist, wirst du im Kanusport nicht weit kommen.

Das alles hat mir auch in meinem restlichen Leben viel gebracht: Leute besser verstehen können, sich in sie hinein zu fühlen, das ist das selbe wie auf dem Bach. Wenn einer die Nerven verliert, nicht mehr kann oder will, muss man auch sensibel sein und auf den anderen eingehen.

Wenn du sagst, es macht dir Spaß, findest du es auch noch interessant, mit Neueinsteigern auf WW II Bächen rumzuschippern? Oder wovon hängt es für dich ab, von den Leuten, dem gemeinsamen Erlebnis?

Ja, gerade gestern waren wir so unterwegs. Wenn ich nur IVer oder Der paddeln wollen würde, würde ich nur wenig zum Paddeln kommen. Ich paddle viel auf IIIer und IIer und finde da auch meine Motivation.

Bei Paddlern, die das professionell machen, wirst du das nicht erleben… da steht das Adrenalin so im Vordergrund, dass ein IVer schon fast zu wenig ist. Da kenne ich einige, die die Passer nicht paddeln wollen wenn die Schlucht nicht geht. Die finden keinen Spaß mehr dabei, auch mal etwas easy runter zu fahren.

Ob ich eine mega große Welle oder eine kleine Welle surfe, ist mir persönlich nicht so wichtig. Wichtiger ist mir das ganze Umfeld und das gemeinsame Erlebnis.

Thomas Waldner beim King of the Alps, Foto: Damiano Benedetto